Mitte-Links-Bündnis gewinnt Präsidentschaftswahl in Uruguay

veröffentlicht am 2.11.04 von Stefan Freudenberg

(Berlin, 1. November 2004, npl).- Die Party begann schon lange vor Schließung der Wahllokale. Tausende Anhänger des Mitte-Links-Bündnisses Frente Amplio kamen gleich nach Stimmenabgabe spontan zu Freudenkundgebungen auf den Straßen der Hauptstadt Montevideo zusammen, über den Ausgang der Präsidentschaftswahl hatten sie keine Zweifel. Am Abend wurde schließlich bestätigt, worauf die Linken in Uruguay seit 170 Jahren warten: Erstmals wird das kleine südamerikanische Land nicht mehr von rechtsgerichteten Politikern regiert, und auch beide Kammern des Kongresses sind mehrheitlich in Händen fortschrittlicher Abgeordneter.

Inzwischen ist das ganze Land am feiern, Hunderttausende sind auf den Beinen, um den zukünftigen Präsidenten, der Arzt Tabaré Väzquez zu feiern. Bereits im ersten Wahlgang konnte er die absolute Mehrheit erringen, ein Zeichen dafür, wie überdrüssig die Uruguayer der neoliberalen, oft nur an den Interessen Washingtons und des Weltwährungsfonds ausgerichteten Politik des scheidenden Präsidenten Jorge Batlle sind. Vorläufigen Ergebnissen zufolge errang Vázquez gut 51 Prozent der Stimmen, sein stärkster Rivale, Jorge Larrañaga von der Nationalpartei, kam auf 34 Prozent. Der Kandidat der regierenden Colorado-Partei, Guillermo Stirling, erreichte lediglich knapp über zehn Prozent der Stimmen — das schlechteste Ergebnis in der Geschichte dieser konservativen Partei. Nach dem jetzigen Stand der Auszählung zufolge wird die Frente Amplio 16 von 30 Senatoren und 52 von 99 Abgeordneten stellen.

Spätestens zum Amtsantritt am 1. März wird der politische Alltag den Jubel über einen linken Wahlerfolg dämpfen. Zwar hat der 64-jährige Vázquez mit der breiten parlamentarischen Mehrheit und der Unterstützung seitens Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Sektoren eine gute Ausgangsposition, um eine neue Politikrichtung einzuschlagen. Dennoch befürchten viele Vertreter des linken Frente-Flügels, dass sich schon bald eine ähnliche Enttäuschung wie im Nachbarland Brasilien einstellen wird, wo der einst umjubelte Präsident Lula immer mehr seiner einstigen linken Unterstützer vergrault. Ähnlich wie Lula sagte Vázquez noch am Wahlabend seinen Anhängern: „Ich werde eure Erwartungen nicht enttäuschen“. Doch an die Realpolitiker gerichtet ergänzte er, dass „die Suche nach pragmatischen politischen Vereinbarungen und der Dialog“ im Vordergrund stehen würden.

Uruguay, dass seit der Bankenkrise im Sommer 2002 eine bis dato kaum bekannte Wirtschaftskrise durchlebt, steht vor immensen sozialen Problemen. Daraus resultiert eine Erwartungshaltung an die neue Regierung, die das Regieren nicht einfacher machen wird. Gleichzeitig hat das kleine Land in der Wirtschaftspolitik kaum Spielraum, eigene Akzente zu setzen oder gar Alternativen wie in Venezuela zu experimentieren.

So ist davon auszugehen, dass in naher Zukunft im Land vieles beim Alten bleiben wird – insbesondere in Sachen Wirtschaftspolitik. Im regionalen Kontext dürfte der Frente-Sieg in Uruguay allerdings das Gleichgewicht weiter in Richtung Eigenständigkeit und mehr Selbstbewusstsein verschieben: Brasilien, Argentinien und Uruguay werden jetzt von Mitte-Links-Regierungen geführt, im Nachbarland Paraguay weht mit Präsident Nicanor Duarte Frutos ebenfalls ein frischer Wind, der sich von der jahrzehntelangen Tradition erzkonservativer Regierungen absetzt. Die Tendenz dieses Blockes, geopolitischen Forderungen aus Washington und wirtschaftspolitischen Vorgaben seitens aller Industrieländer Paroli zu bieten, dürfte mit Vázquez in Uruguay eher zunehmen. Ausgesprochen wichtig ist diese Machtverschiebung auch für Länder wie Venezuela und Bolivien, in denen rechte Kräfte mit allen erdenklichen Mitteln versuchen, ihre einstige Macht gegen die linken Bewegungen zu verteidigen. Angesichts der gemeinsamen fortschrittlichen Außenpolitik im Südkegel Südamerikas wird es anderweitig auf dem Kontinent zunehmend schwieriger, eine Putschbewegung einzuleiten oder von außen unterstützen zu lassen.

Von Andreas Behn, Poonal

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