Bolivien vor der Teilung?

veröffentlicht am 31.01.05 von Stefan Freudenberg

In Bolivien macht die Unabhängigkeitsbewegung der Region Santa Cruz mobil, berichtet Poonal in der Ausgabe vom 25.1.05. Eine Woche zuvor hatten Demonstranten in Santa Cruz, der zweitgrößten Stadt des Andenlandes, offen die Ablösung von der Zentralregierung gefordert. Weitere Informationen dazu findet Ihr im Artikel Separatisten erklären Unabhängigkeit von La Paz bei Poonal.

Ein ausführlicher Hintergrundbericht zur Autonomiebewegung der Cruceños erschien im letzten Jahr in der mehrsprachigen lateinamerikanischen Online-Zeitung Narco News. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Herausgebers können wir Euch, liebe Leserinnen und Leser, nun aus aktuellem Anlass die von uns angefertigte deutsche Übersetzung präsentieren.

Eine Geschichte zweier Bolivien

Hinter den andauernden Konflikten ums Erdgas, ein geographischer Riss zwischen Arm und Reich

von Teo Ballvé, Teilnehmer der Narco-News-Schule für authentischen Journalismus 2004, 27.8.2004, im Original: A Tale of Two Bolivias

BOLIVIEN, AUGUST 2004: Frauen mit bunten Stoffbündeln auf dem Rücken überqueren die übel zugerichtete Landstrassen-Überführung, vorsichtig darauf achtend, nicht auf die herausgerissenen Teile des Geländers zu treten. „Wir befinden uns hier an der Stelle, wo Männer, Frauen und Kinder — ganze Familien — Eisenbahnwaggons auf die Strasse schoben, um diese während des Aufstands zu blockieren“, erklärt Vidál Choque, auf eine Überführung zeigend, in der hauptsächlich von Aymara bewohnten Stadt El Alto direkt vor La Paz. Als junger Einwohner El Altos habe er sich verpflichtet gefühlt teilzunehmen und zu kämpfen bei den Ereignissen, die als Boliviens „Krieg ums Erdgas“ bekannt wurden, beschreibt Choque.

Er spricht vom letzten Oktober, als eine Revolte ausbrach, angeführt von der indigenen Bevölkerung, gegen den Plan der Regierung, die immensen Erdgasvorkommen des Landes über Chile zu exportieren. Es war eine der bemerkenswertesten Erhebungen in der bolivianischen Geschichte seit im Jahr 1781 Tupac Katari, ein Anführer der Ureinwohner, ähnlich wie heute La Paz belagerte. Abermals kam die Indigena-Bewegung mit einem massiven Aufgebot herunter nach La Paz, dieses Mal um den Rücktritt des Präsidenten Gonzalo Sanchez de Lozada zu erzwingen.

Eine weitere Bewegung schlägt — weitgehend unbeachtet — ebenfalls hohe Wellen in der bolivianischen Politik. Ihre Interessen sind denen der starken von den Indigenen gestützen sozialen Bewegung diametral entgegen gesetzt. Bürgerkomitees und Unternehmerverbände aus der Region Media Luna, ein halbmondförmiges geographisches Gebiet bestehend aus den nördlichen, südlichen und östlichen Tiefebenen des Landes, bilden die Speerspitze dieser Kampagne, die den Indigena-Bewegungen als aktivste politische Kraft der Nation Konkurrenz macht.

Die seit langem schwelenden Spannungen zwischen den beiden Gruppierungen entzündeten sich am kürzlich durchgeführten Referendum über das Schicksal der nationalen Erdgasvorkommen. Obwohl jede der zur Abstimmung stehenden Fragen mehrheitlich positiv beantwortet wurde, muss der Kongress nun aufgrund der mehrdeutigen Fragestellungen die konkreten Folgerungen des Referendums in Form eines neuen Gesetzes über die fossilen Brennstoffe (Erdöl und Erdgas) formulieren.

Die derzeit kursierenden Vorschläge zu diesem neuen Gesetz unterscheiden sich bezüglich der Auslegung, was mit der Rückgewinnung der nationalen Gasreserven tatsächlich gemeint ist. Einige schlagen lediglich eine Neuverhandlung der 78 existierenden Verträge vor, was der Regierung erlauben würde höhere Lizenzgebühren und Steuern zu erheben. Andere befürworten eine rückwirkende Annullierung der Verträge.

Die indigenen Gruppen des Altiplano (Hochland) fordern die unmissverständliche Verstaatlichung der Vorkommen, während die Gruppen des Media Luna glauben, dass sie vom weiteren Export durch eine handvoll multinationaler Konzerne profitieren können. Die Kontroverse über die Gasvorräte des Landes lässt radikale Gruppen aus dem rohstoffreichen Media Luna nach einem vom verarmten Hochland unabhängigen Staat rufen.

Diese gut finanzierten Bürgerkomitees und Unternehmerverbände bedienen sich eines rassistischen und regional-chauvinistischen Diskurses. Sie sagen, dass die Zukunft der Erdgasreserven nicht als Geisel genommen werden dürfe von der, wie sie es nennen, extremistischen Indigena-Bewegung aus einem Teil des Landes mit dem sie nichts zu tun hätten.

Alvaro García Linera – einst als ehemaliges Mitglied der Tupac-Katary-Guerilla (EGTK) auf der Anklagebank und heute Universitätsprofessor für Politik und Soziologie – glaubt, dass Präsident Carlos Mesa die Situation zu entschärfen versucht, indem er Unterstützung für eine moderate Position in der Mitte der zwei Pole aufbaut. „Wenn er scheitert und die Unzufriedenheit der Bevölkerung nicht durch eine Stabilisierung des Landes kanalisieren kann, werden beide Pole an Kraft gewinnen“, sagt García, „und der Zusammenstoß beider Seiten könnte sich dann in einem Bürgerkrieg entladen.“

Die Kluft zwischen den beiden Regionen gründet tiefer als die Kontroverse über das Erdgas. Kulturelle Identität und ethnische Zusammensetzung unterscheiden sich drastisch. Das Altiplano ist mehrheitlich indigen — Aymara und Quechua — wohingegen das Media Luna einen viel größeren Anteil an Mestizen aufweist. Ökonomisch betrachtet ist das Altiplano binnenorientiert, das rohstoffreiche Media Luna hingegen exportorientiert. „Es gibt zwei nationale Projekte,“ sagt García, „und das ist es, was Boliviens politische Entwicklung im Moment bestimmt.“

Das östliche Department Santa Cruz, das Epizentrum der Autonomiebewegung des Media Luna, ist das reichste Boliviens. Dort konzentrieren sich 90 % der nationalen Industrie und 60 % der Ölquellen des Landes und es trägt über 50 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Seit den 1970er Jahren hat die bolivianische Bundesregierung Santa Cruz in ihren Entwicklungsprogrammen bevorzugt und damit zum ökonomischen Kraftzentrum Boliviens gemacht. In den Augen vieler Einwohner von Santa Cruz, die sich Cruceños nennen, tragen sie allein die wirtschaftliche Last eines übermäßig abhängigen und undankbaren Landes.

Der Taxifahrer Juan de Dios González aus Santa Cruz erzählte einem Korrespondenten der mexikanischen Tageszeitung El Universal: „Das Altiplano hat nichts mit uns zu tun. Bald werden wir einen eigenen Staat haben. Wir werden unabhängig. Das ist es, was die Leute hier in Santa Cruz wollen. Wir haben es satt, das ganze Land zu finanzieren. Wir wollen nicht wissen, was im Altiplano passiert, weil die Probleme des Landes wirklich immer von dort ausgehen.“

Das bekannteste Aushängeschild der Autonomiebewegung ist die 40.000 Mitglieder zählende Bewegung zur Befreiung der Nation Camba (Movimento Nación Camba de Liberación). Der Name der Gruppe ist von der Bezeichnung des angepeilten separaten Staates abgeleitet. Er soll aus den Departments Beni, Pando, Santa Cruz, Chuquisaca und Tarija, zwei Dritteln der Fläche Boliviens, bestehen. Gemäß der Website der Gruppe, stelle dieser Teil des Landes die andere Vision von Bolivien dar und die Bewegung strebe die völlige Unabhängigkeit dieser unterdrückten Nation an.

Sie beschreiben Bolivien als armseliges und rückständiges Land, in dem eine Kultur des Konflikts vorherrsche … und das bürokratische Zentrum verordne ein System staatlich-zentralistischen Kolonialismus‘, das seine internen Kolonien ausbeutet, eigne sich ihre ökonomischen Ressourcen an und zwinge ihnen eine Kultur der Unterentwicklung auf.

Die scharfe Rhetorik der Organisation erschwert die Unterscheidung der gemäßigten Positionen von denen des radikalen Flügels. Einige Mitglieder hegen lediglich den Wunsch nach größerer regionaler Autonomie, während andere die unbedingte Unabhängigkeit der sogenannten Nación Camba anstreben. Bei allen Differenzen glauben beide Strömungen, dass die Bundesregierung kein Recht hat, über die Zukunft der Bodenschätze der Region zu entscheiden.

Diese Ablehnung der Bundesregierung in all ihren Formen drückt Nación Camba in der Tat immer wieder aus. Ihre Kritik der föderalen Institutionen ist fest verknüpft mit der Dämonisierung politisch durchsetzungsfähiger indigener Gruppen und des Altiplano im Allgemeinen. Die Bewegung will zum Beispiel ihre eigene Polizei und eine eigene Polizeiakademie aufbauen, unabhängig von der existierenden Polizei, weil sie der Meinung ist, dass die föderalen Institutionen den indigenen Gruppen aus dem Altiplano zu sehr verbunden sind.

„Die Bundespolizei ist gekennzeichnet durch den Vorrang politischer Loyalitäten“, behauptet die Bewegung auf ihrer Website, „und durch Ergebenheit zur Andenregion zusammen mit einer ethno-kulturellen Nähe zu den Aymara-Massen, aus deren Reihen sie rekrutiert wird. Diese werden dann in Gebieten eingesetzt, die ethnisch und kulturell ganz anders sind. Im Endeffekt sind sie eine Besatzungsarmee.“

Diese Wortwahl – Auswärtige als Besatzungsarmee zu bezeichnen – scheint jedoch völlig übertrieben, wenn man bedenkt, dass 1,35 Millionen von 1,4 Millionen der Einwohner von Santa Cruz nach Angaben von Juan Forero in der New York Times von heute erst in den letzten 40 Jahren in die Stadt gekommen sind. Und laut Human Development Report der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2004 machen die ehemaligen Hochland-Bewohner, die von den Eliten so gefürchtet werden, 60 % der Bevölkerung in Santa Cruz aus. Folglich stellen die Separatisten, die behaupten für die Region zu sprechen, sogar nur eine Minderheit innerhalb der Stadt dar.

Obwohl die Organisation sich selbst als gewaltfrei bezeichnet, lässt die Ausrichtung einiger ihrer Untergruppen viele Beobachter an ihrem gewaltfreien Fundament zweifeln. Los Querembas, was in der Guaraní-Sprache „Krieger“ bedeutet, ist die selbsternannte Avantgard des Nación Camba.

Sie behaupten weiterhin, dass sie keine bewaffnete Bewegung darstellen. „Wir praktizieren zivile Aktionen zu Gunsten unserer Organisation und arbeiten am Erreichen des Ziels nationaler Selbstbestimmung.“ Das Motto der Querembas lautet indes wesentlich zugespitzter: „Vaterland Camba oder Tod!“

Nach wie vor ist der kampfbereiteste Arm des Nación Camba seine Jugendbrigade. Zu den Zielen der Jugendbrigade gehören „das Verteidigen der Bodenschätze der Region“ und „das Voranbringen nationaler Autonomie“.

Während des Krieges ums Erdgas wurde ein herannahender Protestmarsch gewaltsam von der Jugendbrigade in Santa Cruz im Verein mit der offiziell überparteilichen, ultra-rechten Unión Juvenil Crucinista – eine weitere militante Separatistengruppe – zurückgeschlagen. Mit einem Hagel von Steinen und Rufen wie „Collos (Hochlandbewohner) Miststücke“ wurden die Demonstranten am Betreten der Stadt gehindert.

Der erste Vorsitzende der extremistischen Unión Juvenil Crucinista, gegründet 1957, war Carlos Valverde Barbery. Zur Zeit ist er Chefideologe von Nación Camba – eine Art inoffizieller Gottvater der Bewegung. Valverde erlangte erstmalig in den 1970ern Berühmtheit, als General Hugo Banzer ihn für seine Rolle bei der Führung einer paramilitärischen Gruppe, die den Militärputsch unterstütze, mit der Ernennung zum Gesundheitsminister belohnte. Valverde glaubt, dass die Gründung zweier unabhängiger Republiken die einzige Lösung für das Land sei. Und er fügt hinzu: „Warum sollten wir die Einheit bewahren, wenn [die zwei Regionen] so vollkommen verschieden sind? Wir haben auf so vielen Ebenen absolut nichts gemeinsam.“

Nación Camba organisierte sich ursprünglich als Antwort auf massive Landbesetzungen durch die bolivianische Landlosenbewegung MST (Movimientio Sin Terra) in Santa Cruz im Jahr 2000. Verglichen mit anderen Departments ist die Landverteilung in Santa Cruz weiterhin höchst ungleich. Laut Angaben des staatlichen Instituts für Agrarreform, gehören 25 Landbesitzern um die 22 Millionen Hektar in Santa Cruz – fast 60 % der gesamten Fläche des Departments, beinahe die Größe des US-Bundesstaates Montana.

Untätigkeit bezüglich der Versprechen auf Verteilung des Landes seitens des INRA und die jüngste Verhaftung des MST-Anführers Gabriel Pinto hat das MST veranlasst, die Landbesetzungen zu verstärken. Viele Mitglieder des MST sind erst vor kurzer Zeit aus dem Altiplano zugezogen. Dadurch lässt sich der Landkonflikt zwischen den landlosen, eingewanderten, indigenen Campesinos aus dem Altiplano und den mestizischen Landbesitzern zu einem ethnischen und regionalen Konflikt aufheizen.

Auf einer Ranch im Besitz von Rafael Paz Hortado führten die MST-Anführer die Behörden zu einem Waffenlager, das sie paramilitärischen „Selbstverteidigungs“-Einheiten zuschrieben. Die Paramilitärs würden von den Landbesitzern angeheuert, um ihre Ländereien vor Übergriffen zu schützen. Paz erklärte gegenüber den Behörden, er hätte die Gewehre, automatischen Waffen und Handgranaten nur zum Schutz seiner landwirtschaftlichen Geräte und seiner Tiere. In einer Pressemitteilung prangert die lokale Vertretung des MST das Waffenlager an: „Unser Land kann die Ausbreitung paramilitärischer Bewegungen unter dem Kommando der Großgrundbesitzer infolge der Gier transnationaler Unternehmen und lokaler oligarchischer Interessen nicht hinnehmen.“

Um der wachsenden Präsenz und Stärke des MST zu begegnen, bietet Nación Camba ein eigenes Programm zur Bereitstellung von kleinen Grundstücken an landlose Bauern. Sie haben es sogar geschafft eine kleine Basis von Unterstützern unter den Neuankömmlingen vom Altiplano aufzubauen, indem sie diejenigen, die sich Nación Camba anschließen, Parzellen anbieten. Durch die Veröffentlichung von Zeitungsbeiträgen, Leitartikeln und Positionspapieren versuchen sie die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen.

Da Nación Camba die beabsichtigte Abspaltung von Bolivien als Motor für größere ökonomische Unabhängigkeit und Prosperität propagiert, hat die Bewegung in der Industrie- und Handelskammer Santa Cruz (CAINCO) einen bereitwilligen Partner gefunden, mit dem sie ein tragfähiges Bündnis aufgebaut hat. Der Präsident von CAINCO Zvonko Matkovic erklärte beispielsweise: „Was wir tun sollten, ist, uns sang und klanglos [von Bolivien] zu verabschieden.“ Die Allianz dieser beiden Gruppen repräsentiert die urbane mestizische Elite, die das Ruder der Automiebewegung in der Hand hat.

CAINCO repräsentiert ca. 1500 Firmen aus der Region, darunter viele Öl- und Gas-Untermehmen. Gemäß ihrem Leitbild „dient sie dem Schutz und der Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder.“ Tatsächlich sind viele der internationalen Konglomerate mit bestehenden Verträgen in der Region – Repsol-YPF, Petrobras, Enron – Mitglieder des CAINCO Vorstands.

CAINCO kommt in den Genuss großzügiger Unterstützung aus dem In- und Ausland. Seit langem werden Beziehungen zur Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) gepflegt. Deren Multilateraler Investitionsfond gab zuletzt fast 1 Million US-Dollar an die bolivianische Stiftung für Wirtschaftsförderung, zu deren insgesamt vier Mitgliedern auch CAINCO zählt.

Das erklärte Ziel des IDB-Darlehens ist „bolivianischen Unternehmen den Eintritt in die formelle Ökonomie zu erleichtern.“ Indes gehören 21 % der gesamten Fördermittel zur Kategorie „Bewusstseinsbildung und Ausbreitung“. Der Großteil der Mittel in diesem Bereich ist für eine „Kommunikationskampagne“, „Druckerzeugnisse“, „Verträge mit Massenmedien“ und „Werbung“ bestimmt.

Die Medien spielten eine sehr bedeutende Rolle im öffentlichen Meinungsbildungsprozess bezüglich der Erdgas-Frage, meint der politische Analyst Edurado Gamarra in einer Risikobewertung für USAID. „Eine autonome medienbasierte Opposition (oposición mediática) hat einen ungewöhnlich hohen Grad an Einfluss ausgeübt und war eine wesentliche Quelle des Konflikts [im Erdgas-Streit]. Die Medien waren wirklich extrem aktiv und kritisch gegenüber der Regierungspolitik und auch gegenüber … [indigenen] Oppositionsgruppen.“

Noch bemerkenswerter ist aber die Tatsache, dass CAINCO Mittel von der NED, der vom US-Kongress finanzierten Stiftung für Demokratie, erhält. Dies geht aus Dokumenten hervor, die der Narco-News-Journalismus-Lehrer Jeremy Bigwood dank des Gesetzes über Informationsfreiheit von der US-Regierung erhalten hat.

Die Geschichte der NED ist Gegenstand von Kontroversen. So unterstützte sie regierungsfeindliche Gruppierungen in Ländern, deren Regierungen Washington als unziemlich betrachtete. Anfang dieses Jahres trug die NED zur Destabilisierung der Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten (Aristide, der Übersetzer) bei. Die NED finanzierte auch Súmate, eine Organisation deren einziges Ziel darin bestand, ein Abwahlreferendum gegen den zweifach gewählten Präsidenten von Venezuela Hugo Chavez zu organisieren.

In diesem Fall sind die Aktivitäten der NED anscheinend geschäftsorientiert. Der erste Zuschuss, den CAINCO überhaupt von der NED erhielt, kam gerade rechtzeitig zum Erdgas-Referendum am 18.  Juli. CAINCO erhielt die insgesamt 128.285 US-Dollar am 1. Mai. Die Mittel sind für den Zweck bestimmt, Änderungsvorschläge zum „Bundesgesetz über Güterverträge, Arbeit, allgemeine Dienstleistungen und Consulting“ zu erarbeiten und einzubringen. Das Gesetz reguliert Einkäufe, Ausschreibungen und Aufträge, worunter zum Beispiel Gasförderungs- und Exportverträge fallen.

Laut NED sind Änderungen an dem Gesetz nötig, weil die Beschlussfassung mehr Gewicht auf den privaten als auf den öffentlichen Sektor bei der Korruptionsbekämpfung lege und gleichzeitig nicht die Rechte der Anbieter garantierte. Außerdem sagt die NED, dass die Bekämpfung der Korruption Bolivien attraktiver für ausländische Investoren mache.

Der NED-Zuschuss hilft CAINCO also unter anderem dabei, den Weg frei zu machen für private Firmen, günstige Verträge mit der Regierung zu erhalten und in die Förderung und den Export der Erdgasvorkommen zu investieren. Trotz der noch bevorstehenden Entscheidung des Kongresses zum Gesetz über die fossilen Brennstoffe, das darüber bestimmen wird, wie die Vorkommen genutzt werden, hat Matkovic tatkräftig die Maßnahmen von Präsident Mesa unterstützt, vorzeitig mit dem Verkauf von Erdgas an Argentinien zu beginnen. Und er vergaß nicht zu erwähnen, dass er besorgt war über „den Druck, der von radikalen Teilen der Gesellschaft ausgeübt wurde, die nach einem erneuten Umsturz im Land Ausschau halten“ – eine verschleierte Anspielung auf die Altiplano-Gruppen.

Eindeutig ist die Erdgas-Frage für Bolivien zur strittigsten Frage seit Jahrzehnten geworden. Aber die Folgen des Krieges ums Erdgas und weiterer Erhebungen in letzter Zeit – der Krieg ums Wasser von Cochabamba im April 2000 und die Steueraufstände im Februar 2003 – sind lediglich Symptome eines tiefer greifenden Prozesses. Diese Aufstände haben zu einer landesweiten Neubewertung des gesamten Spektrums neoliberaler Politik der vergangenen Jahrzehnte – Liberalisierung, Privatisierung und der allgemeine Rückzug des Staates – geführt.

Die Mehrheit der Bevölkerung des Altiplano, des am stärksten von dieser Politik verwüsteten und marginalisierten Landesteils, lehnt das neoliberale Wirtschaftsmodell gänzlich ab. Verbände wie CAINCO und Nación Camba – zusammen mit ihren Ablegern – sind zuletzt dadurch bekannt geworden, dass sie diese klare Ablehnung bekämpfen, in manchen Fällen mit Gewalt; denn es handelt sich um ein ökonomisches System, das ihnen als Großgrundbesitzern und Wirtschaftsführern besonders zugute kommt.

Da sie aus einer elitären Minderheit bestehen, haben diese Gruppen gängige rassistische Vorurteile und regionale Spaltungen ausgenutzt, mit denen sich die bolivianische Gesellschaft schon lange herumschlägt. Sehr ähnlich wie die konservative Bewegung in den Vereinigten Staaten haben diese Gruppen entschieden, ihre wirtschaftliche Vorherrschaft zu sichern, indem sie ihren Kampf mit Begriffen der Kultur anstelle der Wirtschaft führen; denn letzteres würde ihre weniger wohlhabenden Unterstützer abschrecken.

Mit einem haben CAINCO und Nación Camba Recht: Trotz des ökonomischen Gewichts hat sich Santa Cruz landesweit nie politisch durchsetzen können. Zum großen Teil liegt dies am Mangel an einer glaubwürdigen politischen Führung. Dieses Manko wird auch daran deutlich, dass Bürger-Komitees und Unternehmerverbände die wesentlichen Triebfedern des politischen Engagements der Region sind, ganz im Gegensatz zur weit verbreiteten politischen Organisation von unten im Altiplano.

Alvaro García Linera meint, dass ein versöhnlicher Ausgang des Konflikts nur möglich ist, wenn sich im Media Luna eine breitere und repräsentativere politische Führung herausbildet. „Die Fähigkeit Gemeinsamkeiten zu finden, ist gefordert“, sagt García. „Wir müssen Brücken der Kommunikation zwischen der ökonomischen Macht im Osten und den populären, sozialpolitischen indigenen Kräften im Westen aufziehen.“

Die Ergebnisse der Beratungen zum Gesetz über fossile Brennstoffe und der verfassungsgebenden Versammlung, die 2005 zusammentreten soll, um die bolivianische Verfassung neu zu schreiben, werden voraussichtlich die Richtung dieses weiterhin andauernden Konflikts bestimmen. Während sich im Oktober die Rebellion zum erstenmal jährt, bleibt die Zukunft unsicher. Dies könnte sich verheerend auf das ursprüngliche Exportvorhaben auswirken. Falls die Bevölkerung, insbesondere die soziale Bewegung, sich mit dem Gesetz über fossile Brennstoffe betrogen fühlen sollte, könnte dies zu einem neuen Krieg ums Erdgas führen. Als er sich an jenem Tag umdrehte, um nach Hause zu gehen, sagte der jugendliche Vidál Choque noch: „Was auch immer passiert, ich werde weiter kämpfen.“

Teo Ballvé, Mitherausgeber des NACLA Report on the Americas www.nacla.org und Teilnehmer der Narco-News-Schule für authentischen Journalismus 2004, dankt dem Fond für authentischen Journalismus für seine großzügige Unterstützung während der Recherchen zu diesem Artikel.