Telesur geht auf Sendung

veröffentlicht am 4.08.05 von Stefan Freudenberg

(Mexiko-Stadt, 26. Juli 2005, npl).- Der Anspruch ist nicht gerade gering. Telesur heißt der neue Satellitenfernsehsender, der von der venezolanischen Hauptstadt Caracas aus die Vormachtstellung von CNN und anderer großer Medienkonzerne auf dem lateinamerikanischen Subkontinent brechen will. „Zum ersten Mal werden wir Lateinamerikaner uns mit unseren eigenen Augen sehen und uns der Welt gegenüber präsentieren, wie wir wirklich sind“, verspricht Aram Aharonian, der uruguayische Direktor des Sender. Venezuelas Präsident Hugo Chávez drückte in einer Telefonbotschaft zum offiziellen Sendestart am vergangenen Sonntag (24. Juli) seine Erwartungen aus: Telesur richte sich gegen den „Kulturimperialismus“, so Chávez in kaum verhüllter Anspielung auf die USA.

Der venezolanische Staatschef ist einer der Hauptförderer des Projektes, zu dessen Anstoßfinanzierung ebenso die Regierungen Argentiniens, Cubas und Uruguays beigetragen haben. Mit Brasilien ist eine enge Kooperation vereinbart. Das Startkapital beträgt zehn Millionen US-Dollar, eine im Vergleich zu den Mediengiganten lächerliche Summe. Auch die Anzahl der Mitarbeiter ist mit 160 bislang gering. Dennoch kann Telesur als das ambitionierteste überregionale Medien-Projekt gelten, das es bisher in Lateinamerika gegeben hat. Ganz offen wird die strategische und politische Brisanz des Vorhabens von den Betreibern eingestanden: Die Journalisten aus dem Umfeld von Direktor Aharonian gehen davon aus, dass die vorherrschende Berichterstattung über Lateinamerika nicht der Realität entspricht. Die Sichtweise auf den Subkontinent sei vom „Norden“ geprägt. Nicht umsonst heißt deswegen der Leitspruch von Telesur „Unser Nordpunkt ist der Süden“.

Korrespondentenbüros von Telesur gibt es bisher außer in Venezuela in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Cuba, Kolumbien, Bolivien, Mexiko und in den USA. Noch ist man täglich nur vier Stunden auf Sendung. Doch schon ab September ist ein 24-stündiges Vollprogramm geplant. Nach und nach soll ein dichtes Netzwerk von Mitarbeitern den gesamten Kontinent überziehen. „Wir wollen dorthin gehen, wo sonst niemand hingeht“, sagt Aharonian. Gesendet wird in Spanisch und Portugiesisch und in absehbarer Zeit soll auch Englisch hinzu kommen. Das Satellitensignal ist zwar frei zugänglich, aber in der ersten Phase noch nicht in ganz Lateinamerika zu empfangen. In wenigen Monaten aber wird der Sender voraussichtlich bis nach Europa und Nordafrika ausstrahlen.

Der Wunsch seiner Macher ist es nicht nur, eine Gegen-Hegemonie zum herkömmlichen Informationsbusiness zu schaffen, sondern die Stärkung einer lateinamerikanischen Identität und Integration zu fördern. Hier kommt der alte Traum Simón Bolívars von einem geeinten Subkontinent zum Tragen. Bewusst handelt es sich deswegen um kein kleines journalistisches Alternativprojekt, sondern um Fernsehen, das potentiell ein Massenpublikum erreichen kann. Daher verwundert es nicht, dass Telesur in den USA ebenso aufmerksam wie argwöhnisch beobachtet wird. Bereits vor Monaten war der Fernsehsender Thema im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats. In der US-Abgeordnetenkammer wurde noch in der vergangenen Woche eine Gesetzesinitiative verabschiedet, die Satellitenübertragung durch Störsignale zu verhindern.

Die Kritiker in den USA und bei den großen Medienkonzernen beschwören die Gefahr herauf, Telesur werde vorrangig ein „Chávez-TV“ sein. Tatsächlich lässt die organisatorische Struktur des Senders die staatliche Intervention zu. Die beteiligten Journalisten sehen deshalb ihre Aufgabe darin, die Unabhängigkeit und damit die Glaubwürdigkeit von Telesur zu sichern. Dabei können sie auf den Rückhalt eines Beirates stützen, in dem unter anderem Persönlichkeiten wie der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal, der französisches Journalist Ignacio Ramonet oder der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano sitzen. Die gemutmaßte Regierungsintervention dürfte im übrigen nicht die Hauptsorge der Gegner von Telesur sein. Angst müssen sie vielmehr vor einem glaubwürdigen lateinamerikanischen Fernsehsender haben, der die dominierende Medienstruktur auf dem Kontinent offen angreift.

Von Gerold Schmidt, Poonal

Poonal (Pool de Nuevas Agencias de América Latina) ist ein wöchentlicher Pressedienst latein-amerikanischer Presseagenturen. Jeden Dienstag veröffentlicht Poonal aktuelle Nachrichten und Hintergrundberichte aus Lateinamerika in deutscher Sprache.